
Health care service providers and rehaKIND present model contract “Children’s Rehabilitation”
Bürokratie frisst Zeit, die für die Patienten aufgewendet werden sollte; so das Fazit der rehaKIND-Arbeitsgemeinschaften zu verschiedenen Themen der Kinder- und Jugend-Hilfsmittelversorgung: Allein über 65 verschiedene Kassenverträge, oder auch gar keine vertraglichen Regelungen, unterschiedliche Abgrenzungen der Produktgruppen durch Verschiebungen nach der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses, unklare Definition des „Dienstleistungsinhaltes“ und der personellen Voraussetzungen … dazu Anforderungen von MDR und TSVG belasten die Branche erheblich.

rehaKIND e.V., seit über 20 Jahren der einzige Verein, der spezialisierte Versorger, Kliniken und inzwischen sogar Selbsthilfeverbände zusammenschließt, möchte hier zu einer Klärung beitragen und die wichtige Zeit für Bedarfsermittlung und Alltagszielvereinbarung mit den jungen Menschen und den Familien nicht in einem Geflecht von Bürokratie und Entscheidungswillkür verpuffen lassen.
Vertragslandschaft uneinheitlich – Versorgungsergebnisse ebenso
Im vergangenen Jahr – auch bedingt durch das „Aus“ für Ausschreibungen – haben sich viele Kostenträger mit einer Neuformulierung der Verträge beschäftigt. rehaKIND ging bei Vertragsveröffentlichungen, die den Besonderheiten der Kinderreha nicht gerecht wurden, stets direkt auf die Ansprechpartner zu, und hörte immer wieder den Wunsch nach Vorschlägen zu kinder-/jugendspezifischen Vertragsinhalten. So entstand der Plan, einen neutralen Kinderreha-Mustervertrag vorzulegen. Dieser definiert eine einheitliche, dem aktuellen Stand der Gesetzgebung entsprechende Versorgungs-Qualität für Kinder und junge Menschen mit Hilfsmittelbedarf, schafft Klarheit zwischen den Vertragspartnern durch klare Definitionen von Begriffen und Leistungen und soll in seiner Struktur ein kostenträger-übergreifendes Muster sein.
Erste Gespräche mit einem großen süddeutschen Kostenträger wurden aufgenommen, dort werden auch „kinderspezifische Qualifikationen“ der Versorger definiert.
In vier Arbeitssitzungen der rehaKIND-Experten mit Vertretern aller großen Leistungserbringergemeinschaften (Rehavital, RSR, Sani Aktuell, Egroh, Bundesinnungsverband OT) entstand eine Vertragsmatrix, die alle notwendigen Anforderungen definiert. Dabei geht es nicht um Preise – die werden weiterhin in den entsprechenden Runden verhandelt – sondern vielmehr um eine exakte Beschreibung und Abgrenzung der in den Produktversorgungen enthaltenen Aufwendungen und Dienstleistungen.
Ende 2019 trafen sich 37 Teilnehmer bei einem hochklassig besetzten Kostenträger-Workshop: Mit Vertretern von verschiedenen AOKen, BBKen, der Barmer, DAK, Gemeinnützige Werkstätten Köln (GWK), IKK Classic und Nord, der Pronova und den privaten Versicherern Ergo, Signal Iduna und Inter, sowie einer MDK-Vertreterin wurde die Grundidee vorgestellt und diskutiert.
Exakte Definition von Grundleistungen und weiterer notwendiger Dienstleistungen
Ziel war es, für die Versichertengruppe von etwa 200.000 Kindern und Jugendlichen mit schwerer Behinderung, ein möglichst selbst bestimmtes Leben und Teilhabe zu ermöglichen. Diese Grundrechte sind u.a. im SGB verankert und nicht „verhandelbar“.
Wenn aktuell die Eröffnungsfrage in einem Beratungsgespräch für Kinderversorgungen lautet „Bei welcher Krankenkassen sind Sie denn versichert?“, kann an dem System etwas nicht richtig sein. Somit darf es nicht Glück oder Pech eines Kindes sein, bei welchem Kostenträger es versichert ist oder bei welchem Leistungserbringer es versorgt wird oder gar welcher Sachbearbeiter einen Vorgang bearbeitet.
Durch die neu dazugekommenen Anforderungen aus TSVG und HHVG, sowie aus der MDR, besteht die Notwendigkeit und die Möglichkeit neue und einheitliche Regelungen zu treffen.
In der Mischung aus Annahmen, gegenseitigen Zuständigkeitszuweisungen, Vertrauensvorbehalten und auch „Nichtwissen“ will die Internationale Fördergemeinschaft Klarheit bringen. Als neutrales Netzwerk sprechen wir über diese Situation mit allen Beteiligten und auch der Politik und sind sehr positiv über die grundsätzlich gleichen Ziele für die Kinder und Jugendlichen. Lediglich die mitunter intransparente Kommunikation stellt alle vor erhebliche Herausforderungen.
Das Mustervertragskonzept – welches für alle in der Kinderversorgung gängigen Produktgruppen inklusive Beatmung/Tracheostoma und Kommunikation von rehaKIND erstellt wurde, soll eben dieses Werkzeug für mehr Transparenz zu Beginn und im Verlauf der Hilfsmittelversorgungen sein.
Gemeinsame Vertragsgrundlagen für Sitzschalenversorgungskonzepte in Arbeit
Auch zu dem hochkomplexen Bereich der Sitzschalen (Teilbereich der Produktgruppe 26) wurde eine eigene Arbeitsgruppe (AG) gegründet, welche noch im ersten Quartal 2020 einen Vertragsteil geliefert hat. Der in dieser AG zusammengetragene Konsens aller Leistungserbringergemeinschaften schafft es sogar diesen individuellen, teils handwerklichen Bereich zu strukturieren. Erneut zeigte sich, dass die Sitzschalen ein besonderes Problem für viele Kostenträger darstellen, auch hier wurde Transparenz und detaillierte Bedarfsermittlung, sowie Ergebniskontrolle und Versorgungszielüberprüfung gewünscht. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen bilden hier die Basis.
Die Bestandteile im Einzelnen sind:
- Definition Grundleistungen – in gesetzlichen Rahmenbedingungen verankert (MPG, SGB V, HilfsM-RL)
- Statuserhebung, Beratung, interdisziplinäre Abstimmung auch mit Familien, Poolabfragen, KV-Erstellung, Einweisung, Auslieferung etc.
- Weitere, zur Versorgung notwendige Leistungen (resultierend aus HMV und MDR)
- Schulung des Umfelds (Kita, Schule u.a. – unter Teilhabe/Inklusionsaspekten), mehrfache Erprobung, Dokumentation nach ICF und turnusmäßige Ergebnisüberprüfung der Versorgung etc.
- Zusatzleistungen (ggfs. durch Herstellervorgaben zwingend oder auf Wunsch der Kostenträger zur Bedarfsfeststellung)
- Probestellung über einen bestimmten Zeitraum, weitere Erprobungen, Termin mit MDK, Foto/Videodokumentation, Wartung u.a.
Datenschutz muss sicher gestellt werden, darf aber keine Blockade sein
Interessierten Kostenträgern wurden diese allgemeinen Kalkulationsgrundlagen auch erläutert. Inzwischen hat rehaKIND individuelle Gespräche mit einzelnen Krankenkassen vereinbart, die Interesse am Mustervertrag, aber auch an einer ICF-konformen Bedarfsermittlung und den daraus resultieren Versorgungsvorschlägen haben.
Wichtig ist rehaKIND und allen Beteiligten die Präambel, die an bestehende Vertragskonzepte angelehnt ist, um auf vorhandene Strukturen aufzubauen. Die Voraussetzungen für die Präqualifizierung sind eine Grundlage, auf der weitergehende Notwendigkeiten beschrieben werden:
So wird die generelle Altersgrenze von 18 Jahren für alle Kinder- und Jugendversorgungen festgeschrieben (aktuelle Verträge z.B. der AOK Bayern in der Beatmung) sehen immer noch 12 oder 14 Jahre vor. Außerdem werden diejenigen Menschen inkludiert, die den Bedarf eines Kinderhilfsmittels haben (z.B. OI- oder Kleinwuchs-Betroffene, oder junge Menschen, deren Reifung und Wachstum mit der Vollendung des 18. Lebensjahres noch nicht abgeschlossen ist).
Die personellen Voraussetzungen für die qualifizierten Kinderversorger*innen sind ebenfalls detailliert geregelt, Ausbildung, Berufsabschlüsse wie z.B. Meister, Berufserfahrung, Fortbildungen, regelmäßige Wissensauffrischung… auch hier wurde rehaKIND von den Kostenträgern zu neutralen Schulungsinhalten aufgefordert bzw. das Schulungskonzept und die so qualifizierten Fachberater bestätigt.
Nur mit konsequenter Fachlichkeit kann die Branche der Kritik mehrerer Kostenträger am Fehlen eines fundierten Grundwissens der Reha-Fachberater*innen, an der Vergleichbarkeit der Versorgungs-Qualität, an der Sinnhaftigkeit und dem Umfang der Bedarfsermittlung und letztlich den daraus resultierenden Hilfsmittelbegründungen entgegentreten.
Im Rahmen des Workshops gingen die Kostenträger aber auch mit der Qualität der Kostenvoranschläge einiger Leistungserbringer hart ins Gericht: Viele KVs seien „intransparent und unplausibel, Begründungen zu kurz gefasst“, so werde oftmals keine konsistente Dokumentation, Zieldefinition und Alltagsrelevanz der Versorgung deutlich.
Transparenz auf allen Seiten führt zu schlankeren Genehmigungsprozessen
Um den „Auslegungsspielraum“ möglichst klein und für alle transparent zu halten, hat rehaKIND dem Mustervertrag ein tiefgehendes Glossar mit Definitionen der Leistungen angehängt.
Am Beispiel der Produktgruppe 10 wurde beim Workshop die Begründung der notwendigen und der gewünschten Zusatzleistungen exakt durchdekliniert und sind bis auf allgemein gültige Kalkulationsgrundlagen heruntergebrochen. Hier wird dem Entwurf für die komplexe Produktgruppe 26 sicherlich noch einmal große Aufmerksamkeit zuteil werden.
Das gemeinsame Zwischen-Fazit des Projektes fiel positiv und differenziert aus: eine klare Abgrenzung der Inhalte und Dienstleistungen sorgt für eine hohe Kostentransparenz. In jeder Produktgruppe wird klar, wo „Zusatzkosten“ entstehen (müssen), wo man definitiv Kosten sparen kann und in welchem Umfang diese sind.
Einheitliche Prozesse entlasten sowohl die Sozialversicherungsfachangestellten und die Hilfsmittelzentren der Kostenträger, als auch die Leistungserbringer, die mit einem Vertragsmodell (statt bisher 65) sich der wichtigen Arbeit an den kleinen Patienten zuwenden können.
Die Sicherung der Qualität durch deutliche Vorgaben, Dokumentation und von Seiten der Kostenträger durch Überprüfung derselben ist ein großes Ziel der rehaKIND-Arbeit.
In diesem Jahr wird parallel zum Mustervertragsentwurf von rehaKIND auch die Entwicklung einer digitalen Bedarfsermittlungsplattform/Dokumentation zur ICF-konformen Versorgung vorangetrieben. So wird in Zukunft die Definition und auch Vereinbarung der alltagsrelevanten Ziele mit allen Beteiligten, die Auswahl der zur Zielerreichung notwendigen Hilfsmittel und Ausstattungsdetails mit einer „Tablet-Anwendung“ des bewährten BEB möglich.
Ergebnisse der ICF-konformen Bedarfsermittlung sind relevante Begründungsgrundlagen auch für Kostenträger
Die rehaKIND-BEB AG hat dazu mit einem IT-Dienstleister die vorhandenen PDF-Formulare nach aktuellen Gesetzesvorgaben komplett überarbeitet, im Zuge der Digitalisierung muss ein unaufwändiges Handling durch den Außendienst vor Ort (netzunabhängig) möglich sein, und auch ein Austausch der Dokumentation mit dem Kostenträger. Das vermeidet individuelle Texte zur Begründung und verschlankt den Prozess. Dieses wurde – allerdings unter Verweis auf große Datenschutzproblematiken – von den Kostenträgern als attraktives Langfristziel begrüßt.
Auch hier sieht sich die internationale Fördergemeinschaft rehaKIND in der Rolle des neutralen Initiators von Verbesserungen für alle an der Kinder- und Jugendlichen Versorgung Beteiligten. Es ist klar, dass im Gesundheitssystem zukünftig nicht mehr Geld für Hilfsmittelversorgungen zur Verfügung steht – so muss es das gemeinsame Bestreben aller Beteiligten sein, das vorhandene Budget mit einer Qualitätsverpflichtung zu verteilen.
Diese „Aufgabe“ manifestiert sich immer mehr auch bei politischen Anhörungen und Öffentlichkeitsarbeit in und mit Fachgremien und auf Messen und Kongressen. Dabei fließt stets die Expertise der betroffenen Familien ein, multiprofessioneller Austausch mit Pflegekräften, Therapeuten, Medizinern und den Gesetzgebungsinstanzen ist Pflicht.
Weitere „Hausaufgaben“ für rehaKIND aus dem Kostenträger-Workshop:
- Foto-/Videodokumentationen der Erprobung wurden von den Kostenträgervertretern als hilfreich zur Beurteilung der Hilfsmittelnotwendigkeit angesehen. Aber: viele Krankenkassen gestatten die Übermittlung solcher Daten an die Sachbearbeiter aus Datenschutzgründen nicht. Bei einigen können solche Dokumente lediglich an den MDK gesandt werden, bei anderen überhaupt nicht empfangen.
- Der Bedarfsermittungsbogen wurde von vielen Teilnehmern als wertvolle Zusatzinformation zur Begründung gesehen, allerdings ist es auch hier sehr unterschiedlich, ob Auszüge oder das komplette Dokument für die Versorgungsbeurteilung verwendet werden dürfen.
- Grundsätzlich sieht sowohl die ICF (also das HMV und die HilfsM-RL) eine gegenseitige Information aller Beteiligten über die Bedarfsermittlung vor, hier könnte z.B. eine zusammenfassende PDF-Datei als Auszug aus dem digitalen BEB für den Kostenträger erstellt werden. Auch die Ergebniskontrollen können so dokumentiert werden.
- Die datenschutzrechtlichen Grundlagen dieses Vorgehens werden von rehaKIND auf Bundesebene mit den Beauftragten abgeklärt, das digitale BEB-Tool erstellt und die Grundlagen der multiprofessionellen ICF-Anwendung weiter verbreitet.
Interessierte Kostenträger erhalten fortlaufend Details aus den verschiedenen Arbeitsgemeinschaften zum Mustervertrag, zu Sitzschalen oder zur digitalen Bedarfsermittlung bei rehaKIND.
Für Fachhandelsmitarbeiter oder Außendienstler bei Herstellern, sowie Therapeuten und Pflegekräften hat das rehaKIND-Referententeam die Anforderungen (bezogen auf Hilfsmittelversorgung) und die Grundlagen der ICF in einem Flyer zusammengefasst: Flyer: Ratgeber gut versorgt mit ICF und Co
Auch Schulungen zu diesem wichtigen Tool für Bedarfsermittlung und Begründung werden angeboten